Ein kalter Tag
Kurzgeschichte von Droka

Er war also auf dem Bahnhof angekommen. Es war ein kalter Tag. Noch hatte er einige Minuten bis zur Ankunft seines Zuges, doch keimte in ihm plötzlich der Verdacht auf, dass jeden Moment diese verzerrte Stimme aus einem Lautsprecher ertönen und verkünden würde:"...ein Zug von...nach...nächster Halt...!Planmäßige Abfahrt...hat 5-10 Minuten Verspätung!" Bis zum Beginn des Unterrichts dauerte es zwar noch einige Zeit, aber vor dieser Nachricht grauste es ihn immer wieder, schließlich hatte er sie in den letzten Wochen schon öfter vernehmen müssen. Einmal fiel der Zug sogar ganz aus, wegen angeblicher durch Wetter hervorgetretener Turbulenzen, wie die verzerrte Stimme meinte, obwohl seiner Erinnerung nach eine sonnige Kühle geherrscht hatte; und überhaupt, wer konnte ihm versichern, dass der Zug nicht auch diesmal ausfallen würde, denn immerhin fiel schon den ganzen Tag Schneeregen, der immer dichter und widerlicher wurde. Er war auf dem alten Fahrrad hergekommen und es fror ihn, weil seine Jeans dabei nass geworden war. Er schloderte, obwohl ihn doch seine Lederjacke obenrum recht warm hielt und sein Kopf dank der Fischermütze, die seit seinem Fernost-Aufenthalt von einem gemalten, laut Künstler nicht so schnell abwaschbaren Motiv geziert wird, trocken geblieben war. Der Wind war heute wirklich bissig. Die kleinen Schneetropfen stachen ihn wie feine Nadeln immer wieder ins Gesicht, aber er fühlte sich erfrischt. "Auf Gleis 2 fährt ein Regionalexpress nach... Nächster Halt... ! Bitte Vorsicht bei der Einfahrt!", ließ die verzerrte Stimme aus dem Lautsprecher stattdessen verlauten. Es war eine weibliche, wie in den meisten Fällen, während sehr oft die Verspätungen von männlichen Stimmen verkündet werden, wie er glaubte. Aber das war ja nicht wichtig. Wichtig war, dass der Zug kommen, sich nicht verspäten würde, was ihn ungemein erleichterte. Es war ein sehr kalter Tag. Er ging ein Stück vor, wie er es immer nach solchen Nachrichten tat und blickte dem Regionalexpress entgegen. Er wollte sicher gehen. Zwar war seine Brille übersät mit Wassertropfen und dort, woher der Zug kommen sollte, schien Nebel zu stehen, doch waren nicht einmal die hellen roten Lichter zu sehen. Er war erstaunt, aber nicht mehr beunruhigt, denn er wusste, dass man immerhin den positiven Nachrichten trauen konnte. Mit den behandschuhten Händen in den Jackentaschen und dem zwischen den Schultern leicht eingezogenen Kopf, sodass das Kinn gerade noch die Innenseite des Jackenkragens berühren konnte, drehte er mit steifen Schritten noch einmal eine Runde um die gläserne Anschlagtafel, die zusammen mit einer anderen gute Dienste als Stützpfosten für die Überdachung zu leisten schien. Er gefiel sich in diesem Spiegel, es mochte vielleicht auf andere etwas komisch wirken, aber er gab sich immer Mühe, aus seinem Äußeren das Beste zu machen, und er glaubte, dass es ihm durchaus gelang. Nach dieser Runde blickte er noch einmal dem Zug entgegen, konnte nun endlich die hellen roten Lichter erkennen. Der Regionalexpress würde nur noch wenige Sekunden brauchen, aber verspätet hatte er sich doch um etwa 3 Minuten, was ihm ein kurzer Blick auf die Gleisuhr verriet. Und schon sauste dieses große rot-graue Gefährt, er nannte es liebevoll "Doppeldecker", wenige Meter an ihm vorbei. Gleich im ersten Waggon stand eine rundliche Schaffnerin an der Tür. Es folgten viele freie Sitzplätze. Er sah nur hie und da einen Passagier. Der Zug hielt. Langsam drängten sich die anderen Wartenden an die Türen, es war eine Handvoll und er folgte ihnen. Drinnen war es doch wärmer. Es war ja ein extrem kalter Tag.


Copyright © 2004 Droka

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