Würfel
Dieses Möbelgeschäft verkauft moderne, schnörkellose
Möbel, Sessel, die nicht rund, sondern kastenförmig sind,
Stühle, deren Lehnen sich nicht entgegenkommend krümmen,
sondern glatt und gerade den Rücken berühren, und Lampen,
deren helle Schirme ein milchiges, wie fein gerührtes Licht
verbreiten. Die Platten der Tische schweben in der Luft, gehalten von
Beinen aus Metall, die wie Gliedmaßen von Insekten schräg
ausgreifen und mit kleinen Tellerchen den Parkettboden berühren,
und die Lampen hängen von der Decke wie Bündel geometrischer
Kristalle. Das alles steht in hohen weißen Räumen, ist
sorgfältig und mit Beziehung, aber ganz ohne eine
Gleichförmigkeit angeordnet. Ich gehe oft am Nachmittag dort
herum, seltener, um etwas zu kaufen, meist, um einfach nur die
schönen Dinge anzusehen und sie über ihre nie ganz zu
enträtselnden Geheimnisse zu befragen.
Neulich ist dort aber ein Möbel ausgestellt gewesen, das noch
feiner und seltsamer war. In einem Zimmer im oberen Stockwerk stand
mitten auf dem Fußboden ein Würfel mit glatten und ganz
weißen Flächen. Er hatte eine Kantenlänge von
höchstens einem Meter (wahrscheinlich etwas weniger), und er stand
in dem Raum ein ganz klein wenig schräg - so gering, dass man
unsicher war, ob dieses Schrägstehen ein Zufall oder aber eine
kompliziert ausgedachte Abweichung war. Seine Kanten waren scharf und
genau, und die Oberfläche glänzte wie stumpfes Porzellan. Der
Würfel war so hoch, dass man nicht darauf hätte sitzen
können, aber gleichzeitig niedriger, als es für einen Tisch
zweckmäßig gewesen wäre und es war also unsicher, wozu
er eigentlich dienen konnte. Ich ging ein paar Mal um ihn herum und
betrachtete alle seine Seiten, die gleich aussahen. Zum Schluss
berührte ich mit der Hand die ein wenig poröse Oberseite; sie
fühlte sich kühl und schwer an, wie Gips.
Nachdem ich das Möbelstück auf diese Weise angesehen hatte,
blickte ich mich um, ob auf einem Schildchen etwa angegeben wäre,
wie es hieß und zu welchem Preis es verkäuflich sei. Aber in
dem Raum fand sich weder eine Tafel noch ein Schildchen, die Wände
waren leer und kahl, und selbst das Fenster, das den Raum erleuchtete,
war mit einem Milchglas undurchsichtig gemacht worden. Ich zuckte mit
den Achseln und dachte so etwas wie: Wahrscheinlich wird hier eine
Ausstellung vorbereitet, wo dieser Würfel als Sockel dienen soll.
Dann schickte ich mich an, das Geschäft zu verlassen, denn es war
schon später Nachmittag.
Erst beim Hinausgehen bemerkte ich an der Tür ein Plakat, das ich
beim Hineinkommen offenbar übersehen hatte. Oben stand in
schwachen, sehr auseinandergezogenen Buchstaben der fremdländische
klingende Name eines Künstlers und darunter die knapp gehaltene
Mitteilung, dass im oberen Stockwerk, im sogenannten Galerieforum,
seine neueste Arbeit, der KUBUS, ausgestellt sei. Auf einem Photo
darunter war der Würfel so abgebildet, wie ich ihn gesehen hatte:
die gerade gezogenen Kanten, welche die schwere Masse, das Volumen, wie
eine Last unsichtbar und streng zusammenhielten, die von dieser
Mühe nur ganz leicht berührte Oberfläche, in der sich
das Licht des Fensters schwach abspiegelte, die scheinbare Bewegung,
mit welcher der Würfel sich auf dem glänzenden Parkett ein
wenig abwandte, fast sich drehen wollte, in seiner Ruhe immer
unsicherer wurde.
Dann ging ich davon, in Gedanken den Namen des Künstlers
wiederholend, der oben gestanden hat und an den ich mich beim besten
Willen nicht erinnere.
Copyright
© 2005 Jonas-Philipp Dallmann
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