Läuterungsprozess

Unsere persönlichen Ansichten, Standpunkte und Überzeugungen werden immer wieder durch äußere und innere Einflüsse auf die Probe gestellt. Entweder sie behaupten ihren Platz oder sie werden, oft nach längerem Schwanken und Nachdenken, unhaltbar und müssen dann revidiert werden. Werden wir in einer für uns fundamentalen Frage von einer solchen Woge erfasst, dann ergreift uns ein Gefühl, wie wenn der Boden unter unseren Füßen weggezogen würde. Wir können dann auch körperlich ein Schwindelgefühl erleben. Ich will damit sagen, dass es nicht genügt, dass wir einmal in unserem Leben eine klare Meinung gefasst und entschiedene Standpunkte bezogen haben. Wir müssen dies immer wieder von neuem tun.

Sind wir der Umwelt gegenüber aufgeschlossen und begegnen Menschen und Dingen nicht mit vorgefertigten Meinungen oder Ablehnung, dann wird unser Denken und Handeln zwangsläufig mit Elementen konfrontiert, die unserem Wesen fremd sind. Bei tiefer veranlagten Menschen beginnt dann die Selektion, eine echte und oft schwere geistige Arbeit. Was für unsere geistig-seelische Gesundheit unzuträglich ist oder unserer tiefsten Überzeugung widerspricht, muss erkannt und ausgeschieden werden. Wenn wir versuchten, uns um diesen Läuterungsprozess herumzudrücken, etwa aus Bequemlichkeit, oder wenn wir keine Zeit mehr dazu finden würden, würden wir nach und nach unsere Persönlichkeit verlieren. Sie würde immer mehr verblassen, bis wir zu eigenem Denken, Urteilen und Handeln nicht mehr fähig wären. Dann würde uns nichts anderes mehr übrig bleiben, als uns der amorphen Masse anzupassen, in ihr aufzugehen.

Februar 1985

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