Der Mensch und die Weltordnung

Es gibt etwas, das tief in allen Dingen verborgen ist, in den von der Natur geschaffenen, vor allem in der belebten Natur, zu der wir selbst gehören, wie in allem, was unser Menschengeist schafft, etwas, das nicht zerstörbar ist und selbst durch das Chaos nur bestätigt, nicht beseitigt wird: das eherne Gesetz der Weltordnung. Es scheint durch alles hindurch und wir sehen klar, wenn wir die Dinge in seinem Licht sehen. Grundlegende Wahrheiten gehören zum Gesetz der Weltordnung. Ihnen können wir nicht entrinnen. Ich nenne nur einige der größten und wichtigsten:

Die Welt bringt fortwährend neues Leben hervor. Andererseits ist jedem Einzelwesen nur eine begrenzte Zeit gegeben. Wir vergessen so leicht, dass Werden und Vergehen wie zwei Seiten einer Münze zusammengehören. Sie sind Teil eines gigantischen Kreislaufs, dessen Ursprung und Absicht in einen undurchdringlichen Schleier gehüllt sind. Für den gläubigen Menschen ist hier die Nahtstelle, wo Wissen und Erkennen enden und das tastende, ahnungsvolle, kindliche Sich-Führenlassen beginnt. Von diesem Gesetz des Werdens und Vergehens, wir können auch sagen: des ständigen Wandels, ist auch unser menschliches Dasein durchdrungen. Es ändert am Lauf der Welt nicht das Geringste, ob wir uns diesem Gesetz öffnen, es anerkennen, oder ob wir uns verschließen, es ignorieren oder negieren. Nur für uns selbst ändert es eine ganze Menge: Wenn ich mein Leben durch dieses Gesetz vorgezeichnet sehe, wenn ich Werden und Vergehen nicht als Betriebsunfall, nicht als technische Panne im Weltgebäude sehe, sondern annehme, dass an diesem nichts ohne Sinn ist, dass auch der Tod einen Sinn hat wie unsere Körperfunktionen, wie Wind und Regen, dann werde ich viele Dinge des Lebens aus einer anderen Perspektive betrachten. Damit soll nicht gesagt werden, dass wir ständig den Tod vor Augen haben sollen, sondern nur so viel, dass alles, was wir im Leben tun, ob wir vom Glück überhäuft und vom Pech verfolgt werden, ob wir unsere Mitmenschen erfreuen oder peinigen, all das ist nur für die uns zugemessene Zeitspanne von Bedeutung. Sofern wir Kinder haben, werden diese noch eine Zeit lang an unseren Früchten zehren oder an unseren Fehlern leiden, vielleicht beides, dann verliert sich unsere Spur. Müssten wir nicht angesichts dieser Tatsachen manche unserer Ansichten und Einstellungen korrigieren, müssten wir nicht aufhören, manchem Götzen zu opfern, uns von manchem Dämon peinigen zu lassen? Von welchen im Grunde richtigen Zielen und Wünschen lassen wir uns aufsaugen, ganz in Bann schlagen, ängstigen? Wie oft versäumen wir darüber, unserem Nächsten das zu geben, was er eigentlich von uns erwarten könnte? Es lohnt sich bestimmt, manchmal im Stillen darüber nachzudenken.

Noch ein Gesetz der Weltordnung, die so unauffällig und leise auftritt, gleichsam zwischen den Zeilen hervorblickt, und nur mit stiller Sprache, im Verschwiegenen, Nichtgesagten zu uns spricht: Der Mensch kann dem Grad seiner Vollkommenheit, der ihm von der Natur, wir könnten auch sagen, von Gott, gegeben ist, nichts hinzufügen, aber es ist ihm aufgetragen, sie zur Entfaltung zu bringen in gegenseitiger, brüderlicher Liebe und Sorge. Wenn einer glaubt, er habe die genialen Gaben eines Künstlers, Staatsmannes, Wissenschaftlers oder was auch immer und wird in Wahrheit nur von seiner Eitelkeit genarrt, so wird er, wenn er das Vexierspiel nicht durchschauen lernt, zum Gespött der Leute oder er wird Unheil über sie bringen. Auch wenn er durch geschicktes Taktieren und merkantile Begabung Reichtum erwirbt, wird er für die Nachwelt doch nur ein Geck oder Scharlatan sein. Bleibt ein Mensch aber innerhalb der ihm gesetzten Grenzen und gelingt es ihm, seine Talente zu entwickeln und fruchtbar zu machen, wird er Mitmenschen, die Welt und sich selbst kennen und besser verstehen lernen. Er wird mehr und mehr ein Teil der Gesellschaft, der Menschheit und des Universums und wird sich auch als solchen betrachten oder fühlen. Er wird den ihm gebührenden Platz einnehmen und die Aufgaben erfüllen, die innerhalb seiner Fähigkeiten und Kräfte liegen. So viele Irrlichter es auf diesem Weg gibt, wir begegnen auch immer wieder Menschen und es kommen uns Zufälle zu Hilfe, die uns den rechten Weg zeigen, sodass vor unserem geistigen Auge, wenn wir es nur nicht verschließen, doch immer wieder aufleuchtet, womit wirkliches Menschentum gefördert werden kann, was der Menschennatur zuträglich und schädlich ist, wie nicht nur das Äußere gepflegt und gesund erhalten werden muss, sondern auch unser Geist, das Gemüt, wie sie belebt und gestärkt werden können, wie die durch die Zeiteinflüsse verstärkt lauernden Gefahren zu erkennen und ihnen zu begegnen ist. Freilich bedarf es dazu immer wieder der Ruhe. Wer tagein, tagaus sich in seinem Pflichten- und Freizeitkreis dreht, ohne Pause, bleibt besinnungs-los. Er kann die in ihm ruhenden Talente weder kennen noch entwickeln. Liegt vielleicht darin der Grund, weshalb unsere Zeit gekennzeichnet ist von der Unfähigkeit zur echten Begegnung, zum wirklichen Erleben, auch und gerade wenn wir von den uns täglich mit Information und Unterhaltung versorgenden Massenmedien im Stich gelassen werden oder wenn uns diese Kost mitunter schal wird?

März 1982

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