Single forever
Roman von Hülya Hayat - Kapitel 4
LIEBST DU MICH NICHT, LIEBE ICH DICH
Mein Auto steht ein ganzes Stück vom CADU entfernt und es hat aufgehört zu regnen. Klack, klack, klack - meine Stöckelschuhe geben mir den Takt zu einem Song, der mich heute schon den ganzen Tag als Ohrwurm begleitet.
Sometimes
Sometimes I feel your soul
Sometimes I see you grow
Sometimes you are depressed
In times of emptiness
Sometimes you’re wild and free
Sometimes you’re light years away
Sometimes I feel you’re pain
Sometimes your hate
Refrain:
Use my imagination
Need more of your attention
Fall in the mode of passion
Sometimes I don’t react
To all you’re strange affects
Sometimes I got rid of you
Don’t know what you need to do
Sometimes I’m in love with you
There’s no space between me and you
Sometimes we’ve nothing to say
Sometimes we don’t care
Mit diesem Song haben David und ich uns kennen gelernt… Reinhard brachte uns zusammen. Reinhard und David hatten in Berlin zusammen Medizin studiert. David widme einen großen Teil seiner Freizeit der Musik und seit ihn seine Frau Martina verlassen habe, umso mehr. Jedenfalls habe er Reinhard in den Ohren gelegen - er suche wieder ein Band - oder einzelne Musiker, denn das wusste David - nichts brauchte soviel Aufmerksamkeit und Zeit wie ein neues Musikprojekt. Reinhard gab mir Davids Telefonnummer.
„Ruf ihn mal an Hülya, er ist ein ganz prima Kerl und ein fantastischer Musiker. Seine Frau hat ihn vor einigen Monaten verlassen und ich glaube ein wenig Abwechslung würde ihm gut tun.“
„Heeey, wie meinst du das?“ tat ich empört und boxte Reinhard auf den Oberarm.
„Aua!“ jaulte Reinhard. „Nein, ganz im Ernst. Du willst doch deine Songs aufnehmen. Anstatt eine Band zu suchen, wo es dann eh nur wieder Ärger gibt, würde ich an deiner Stelle mich nur auf einen Musiker konzentrieren.“ Reinhard hatte Recht. Seit meine letzte Band sich in Luft aufgelöst hatte, war mein musikalisches Engagement bis auf ein gelegentliches „Jammen“ mit alten Musiker-Freunden, auf Null gesunken.
„Ja hallo“, meldete sich eine Männerstimme.
„Hi, ich bin Hülya. Reinhard hat mir deine Telefonnummer gegeben. Hast du einen Augenblick Zeit?“
Wir redeten über Musik-Stile und unsere Erfahrungen in früheren Bands und verabredeten uns für den übernächsten Abend. Ich gab David meine Adresse und beschloss gleich am nächsten Tag meine Gitarre auf Vordermann zu bringen. Gepflegt sah sie nicht gerade aus, meine alte Klampfe, sie war schrecklich verstaubt und ihre Seiten klangen blechern und wo war überhaupt mein Stimmgerät? Zum Glück fand ich noch einen Satz neuer Stahlseiten in meiner Musik-Kiste. Darin befand sich auch mein kleiner Verstärker in mint grün, der eher aussah, wie ein Kofferradio aus den Fünfzigern. In der Kiste lag außerdem meine allererste Langspielplatte. Das „Best of Dean Martin“. Ich liebte Jazz, als Gleichartige auf Rock-Musik standen. Dean lächelte mir entgegen, mit seinen haselnussbraunen Augen, seiner tief braunen süd-italienischen Haut und seinen blendend weißen Zähnen, aus einer Zeit, als schöne Menschen noch schön waren, so wie Gott sie geschaffen hatte und nicht weil irgendein Schönheitschirurg, der selbst meist „naturbelassen“ war, nachhelfen musste.
Ich werde richtig böse, wenn ich an diese Quacksalber denke, die im Dienste der Medizin durchgeknallten Menschen für viel Geld Gliedmaßen amputierten oder dem „Patienten“ die Beine zertrümmerten um ihm zwei weitere Zentimeter Leibesgröße zu schenken. Der „Patient“ bekommt dann Titangelenke eingesetzt und muss unter qualvollen Schmerzen in einer Rehabilitationsklinik das Gehen wieder neu erlernen. Aber den Tiefpunkt bilden Ärzte, die Menschen so umoperierten, dass sie am Ende aussahen wie eine Raubkatze, Echse oder ein Hund.
Bis in die Nachtstunden hinein sang ich meine Lieder und mit jedem Ton, der meine Lippen verließ, fühlte ich mich glücklicher. Es gab schon immer Zeiten, wo ich nicht sang - diese Zeiten waren stets die unglücklichsten in meinem Leben gewesen. „Wo Musik ist lass dich nieder, denn nur glückliche Menschen haben Lieder“, sagte meine Musik-Lehrerin. Ein verstaubter alter Satz, ich weiß - aber er ist wahr. Schon als kleines Mädchen war ich fasziniert, wenn ich steinalten Musikern begegnete - sie wirkten auf mich so glücklich und ausgeglichen.
Meine erste musikalische Erfahrung machte ich mit Susanne, meiner ersten „besten Freundin“… Wir gingen in dieselbe Klasse und hatten den gleichen Schulweg. Trotzdem trennten uns Welten. Sie lebte mit ihren Eltern und ihrer Großmutter in einem Zweifamilienhaus mit großem Garten und Hobbykeller, während ich mit meiner Familie in einer Baracke wohnte. Das einzige Klo gleich links neben dem Hauseingang mussten wir mit anderen Hausbewohnern teilen. Wir lebten in zwei Zimmern - das eine war eine Wohn-Schlaf-Küche, das andere unser Kinderzimmer. Geheizt wurde nur in der Küche. Ich glaube, damals fror ich immer. An besonders kalten Wintertagen grauste es mir auf die Toilette zu gehen, nicht nur, weil es da schweinekalt war, sondern weil meist irgendjemand vor der Tür stand und mich drängte „mal schnell zu machen“. Unsere Nachbarin Frau Kluy, eine quirlige Frau mit einem unglaublich dicken Hintern, schimpfte jeden, der uns Kindern in irgendeiner Form maßregelte. Sie nannte mich „Rehlein“ wegen meiner braunen Augen und ich durfte sie dafür „Pudding-Popo“ nennen. Sie war immer gut gelaunt und gestattete mir sogar auf ihrem Popo zu klopfen, der dabei hin- und her wackelte, wie Götterspeise. Als ihr Mann für längere Zeit weg war, durfte ich bei ihr wohnen. Die Leute tuschelten, Herr Kluy sei im Gefängnis, weil er Geld geklaut habe, aber das war mir und meinen Eltern egal. Für uns waren die Kluys gute Menschen und von Gerüchten dieser Art wollte insbesondere mein Vater nichts wissen. „Die Leute reden viel“, winkte er ab, „sie finden immer etwas Schlechtes an einem, wenn sie wollen.“ Und was mich betraf, mich interessierte es damals herzlich wenig, womit sich die Erwachsenen ihr Geld verdienten. Ich glaube, Ethik und Moral ist etwas für Erwachsene. Kinder sehen ihre Welt mit anderen Augen: Nicht dass sie Recht von Unrecht nicht unterscheiden könnten, aber sie verbringen nicht ihre kostbare Zeit damit, bei ihren Mitmenschen nach Fehlern zu suchen. Wenn es aber darum geht, zu erkennen, wer sie wirklich mag, haben Kinder die feineren Antennen.
Die Kluys mochten mich sehr. Sie hatten keine eigenen Kinder und da meine Mutter mit ihren zwei Jobs und der Familie fortwährend überlastet war, durften die Kluys mich nach Herzenslust verwöhnen. Irgendwann brachte mir Herr Kluy unter großem Protest seiner Frau das Pokern bei.
„Was sollen ihre Eltern davon halten, wenn sie es erfahren, eine Achtjährige, die pokert wie ein sizilianischer Mafiosi. Also wirklich!“
„Aber Liebling, Hülyas Vater hat nichts dagegen, ich habe ihn gefragt.“ Mein Vater fand, ein Spiel, das den Verstand schärfe, könne nicht schaden. Nur um Geld sollte man nicht spielen. Wir haben nicht um Geld gespielt, sondern um Schokonüsse und eine Spielerin ist aus mir auch nicht geworden.
Es gab noch einen Komfort, den die Kluys boten. Ihre Wohnung war immer mollig warm. Kein Wunder, im Gegensatz zu meinen Eltern beheizten sie ihre Wohnung zusätzlich mit elektrischen Heizlüftern. Meine „Ersatz-Mama“ verwöhnte mich auch sonst mit allem, was ihr zur Verfügung stand. Besonders viel Geld hatten die Kluys nicht. Es handelte sich auch gar nicht um materielle Dinge. Sie gab mir das, was ich am meisten vermisste: Zeit und Aufmerksamkeit. Meine Mutter schien immer zu arbeiten und die Mehrfachbelastung war ihr deutlich anzusehen. Sie war tagsüber in der Wäscherei eines Altenheims beschäftigt und in den Abendstunden putzte sie eine Arztpraxis. Mein Vater arbeitete unterdessen als Kraftfahrer für eine Textilfirma. Sofern es seine Zeit zuließ, half er meiner Mutter abends bei ihrem Putzjob. Beide kamen dann gegen neunzehn Uhr nach Hause um dann mit uns zu Abend zu essen.
Unter der Woche waren wir Kindern, insbesondere meine ältere Schwester damit beschäftigt, die Wohnung zu putzen und kleinere Einkäufe zu machen. Meine ältere Schwester Halima zog es jedoch vor die Hausarbeit alleine zu erledigen. Wir „Kleinen“ seien einfach zu schlampig. So schrubbte und fegte sie die beiden Räume bis alles blitzte. Sie war sehr anspruchsvoll - aus heutiger Sicht würde ich sogar sagen, zwanghaft. Wenn dann meine Mama abends voll Bewunderung in die Hände klatschte, und ihre „Große“ für ihren Fleiß lobte, konnte man an ihrem Gesichtsausdruck sehen, dass all ihre Mühe sich gelohnt hatte.
Mein Bruder und ich hingegen fühlten uns durch Halimas strenge Art oft unglücklich. Sie schien uns gar nichts zu erlauben. Sie war ja selbst noch ein Kind und suchte die Anerkennung meiner Eltern. Heute weiß ich das. Auch das, was ihr durch die vieler Hausarbeit entging - eine gute Schulbildung zum Beispiel. Dann kam eine Zeit wo sie mir ihre Hausaufgaben überließ, um irgendeiner Hausarbeit, die ihr in diesem Moment viel wichtiger war, nachzugehen. Mir kam das recht: Die Hausaufgaben meiner Schwester waren mir allemal lieber als ein Berg Geschirr abzuwaschen. Von da an war ich für Behördengänge und den Schreibkram der gesamten Familie zuständig. So fand auch ich meinen Platz.
In unserem Flur wohnte, gleich neben den Kluys ein alter Rentner. Herr Baumgartner. Er schickte meinen Bruder oder mich täglich zum „Rewe“ um die „Süddeutsche Zeitung“ und eine Flasche Milch zu besorgen. Herr Baumgartner trug immer einen alten verschlissenen Anzug und ein weißes Hemd, das er in den oberen Knopfreihen offen trug. Eine Krawatte besaß er nicht. Er war überzeugter Kommunist - Krawatten seien etwas für Spießer, sagte er. Ich wusste nicht, was ein Spießer ist, aber es musste sich wohl um etwas Schlechtes handeln. Wenn Charly Chaplin im Fernsehen lief, rief er uns zu sich. „Schaut, das ist ein großer Mann“, sagte er. Mein Bruder und ich kicherten heimlich. Was der Herr Baumgartner so alles sagte? Der Charly Chaplin war doch nicht groß! Er war ein großer Bewunderer des „Chess“. Er liebte Chaplin nicht nur wegen seines schauspielerischen Talentes, sondern vor allen Dingen für seine politische Haltung. Als Kind interessierte mich Chaplins politische Gesinnung nicht und was ein Humanist oder Kommunist war ebenso wenig. Heute weiß ich jedoch, dass Chaplin zu einer Zeit, wo man in den Vereinigten Staaten allzu schnell als vermeintlicher Kommunist verfolgt wurde, Werke wie „Der große Diktator“ oder „Modern Times“ gedreht hatte? Noch was. Trotz seines riesigen Erfolges zog es Chaplin vor, seine englische Staatsbürgerschaft beizubehalten - er machte sich damit wohl nicht gerade beliebt, aber so blieb er sich selbst treu.
Als ein deutscher Nazi während einer Abendgesellschaft über die irrsinnigen Ziele Hitlers vor einer Gruppe Menschen prahlte, war auch Chaplin zugegen. Der Deutsche erkannte den Künstler und reichte ihm die Hand mit den Worten: „Hallo Mr. Chaplin, ich bin ein großer Bewunderer Ihrer Filmkunst.“ „Ich gebe einem Nazi nicht die Hand!“ soll Chaplin entgegnet haben. Einer der anwesenden Gäste habe daraufhin das „rüpelhafte Benehmen“ des Künstlers damit entschuldigt, dass er Jude sei. „Nein meine Herren, diese Ehre habe ich nicht!“ habe Chaplin darauf hin geantwortet und umgehend den Saal verlassen.
Noch heute sehe ich ihn vor mir - unseren Herrn Baumgartner - wie er dasaß, in gebeugter Haltung, auf der brüchigen Bank vor unserer Baracke ein Pfeife paffend. Man sah ihn nie ohne seine Pfeife - sie schien an seinem Mundwinkel angewachsen zu sein. Mit zittrigen Händen hielt er die „Süddeutsche“ umklammert und war für die nächsten Stunden nicht mehr ansprechbar. Irgendwann, wenn es nichts mehr zu lesen gab, faltete er ordentlich seine Zeitung zusammen und meinte, es sei sehr wichtig welche Worte man in sein Gehirn ließe. Man solle sich die Literatur, die man sich einverleibt, sehr genau aussuchen.
Eines Tages gab er mir das Buch „Tom Sawyer und Huckleberry Finn“.
„Lies das!“ forderte er mich auf. Ich hatte keine Lust dazu, sagte aber nichts. Was sollte ich damit, niemand in meiner Familie las Bücher. Aber dann versprach Herr Baumgartner mir eine Riesenportion Eis, wenn ich es läse. Kinder sind ja so bestechlich. Dann geschah das Unerwartete. Ich las das Buch nicht nur - ich verschlang es förmlich. Meine Lektüre wurde von Herrn Baumgartner um „Robinson Crusoe“ und die „Schatzinsel“ erweitert. Somit war mein heimlicher Drang als „herumstreunende Zigeunerin“ und „Überlebenskünstlerin“ zu leben, geboren. Meine Mutter war etwas besorgt, weil ich mich so gar nicht für Hausfrauensachen interessieren wollte. Immerhin sollte ich doch eines Tages eine Familie führen. „Lass sie“, beruhigte sie mein Vater. „Stör‘ sie nicht. Es ist gut wenn ein Kind liest. Sie wird eines Tages Ärztin oder Anwältin, dann kann sie sich eine Haushälterin leisten, die ihr die Hausarbeit macht.“ Aus mir ist weder eine Ärztin noch eine Anwältin geworden. Ich habe nicht einmal das Abitur. Aber ich danke meinem Vater dafür, dass er mir den Weg zur Literatur nicht versperrt hat.
In den anderen Baracken wohnten Ausländer, Zigeuner und sozial schwache Deutsche. Die Menschen aus den umliegenden Straßen nannten uns die „Asozialen“ und verboten ihren Kindern mit uns zu spielen. Das Wort „asozial“ wurde somit, das erste Fremdwort, das ich in meinem Leben lernte.
Jeden Sonntagvormittag war Badetag. Meine Mutter heizte den Ofen schon frühmorgens kräftig ein und steckte uns nach dem Frühstück in eine Plastikwanne und wusch und schrubbte uns bis wir glänzten. Zwei Eimer vollgefüllt mit warmem, beinahe heißem Wasser pro Kind hielten dafür her. Wir mussten uns in die leere Wanne setzen, während meine Mutter mit einem „Hamam-Becher“, einer Messingschüssel in der Größe eines Müslibechers, Wasser aus den Eimern schöpfte und uns fortwährend über den Kopf kippte. Wenn eines der Kinder fertig war, wurde es in ein Handtuch gewickelt, kräftig abgerubbelt und von gelegentlichen Kitzelattacken unterbrochen, angezogen. Erst wenn es mollig warm eingepackt, mit einem Cay-Glas in der einen Hand und einem Keks in der anderen Hand auf dem Sofa „geparkt“ war, war das nächste Kind an der Reihe. Vorher brachte sie das schmutzige Wasser nach draußen um es in den Kuli zu gießen. Die Wanne wurde dann mit Seifenwasser gründlich ausgewaschen, bevor das nächste Kind darin Platz nehmen durfte. Meine „Anne“ liebte es uns Kindern zu baden. Ich glaube, das ist ein Urtrieb den Mütter haben. Wenn dann ihre Kinder alle sauber und satt auf dem Sofa kauerten, schaltete sie den Fernseher ein, damit wir pünktlich um vierzehn Uhr „Flipper“ ansehen konnten. Ein Wunder, wie sie das immer wieder hinbekam - dass die Badeprozedur zeitgleich mit dem Beginn der beliebten Fernsehsendung endete.
Wir liebten Flipper. Dieser ewig schnatternde, süße Delphin, der mein Herz im Sturm erobert hatte. Zu dieser Zeit wurde auch der Vierteiler von Mark Twain „Tom Sawyer und Huckleberry Finn“ ausgestrahlt. Erst liebte ich Tom, dann Huck. Tom war zwar kein Spießer, aber gegen Huck kam er einfach nicht an. Heute würde ich sagen - Huck war cool und irgendwie sexy. Insgeheim wollte ich so sein wie Huck. Dass das nicht ging war mir klar, außerdem hätte ich mich doch gefürchtet so alleine in einem alten Fass am Meer zu schlafen. Aber darum ging es ja auch nicht. Es war die Freiheit und Zügellosigkeit, die Huck umgab. Als dann Pipi Langstrumpf einige Zeit danach den Fernsehhimmel eroberte, hatte ich meine persönliche Heldin gefunden. Huck und Pippi - Pippi und Huck - die beiden hätten sicher viel Spaß miteinander gehabt.
In der Baracke gegenüber wohnte eine Zigeuner-Familie, die neben achtzehn eigenen Kindern eine immerträchtige Schäfer-Hündin Namens Flora hatte. Wir Mädchen spielten viel lieber mit Floras Welpen, als mit Puppen. Wir steckten die Kleinen in Puppenwägen und versuchten sie mit der Flasche zu füttern. Frau Machotka, die „Mamma“ und heimliche Patronin der Familie, trug stets ein enges, schwarzes Kleid mit tiefem Decollete und rauchte „Salem ohne“. Natürlich war sie in meinen Augen eine alte Frau, aber trotz ihrer vielen Geburten schien sie immer noch Sex-Appeal zu besitzen. Nicht nur mein Vater, auch andere Männer in der Nachbarschaft sahen sie auf eine ganz bestimmte Art an - „das ist ne heiße Frau“, bemerkte einmal Herr Kluy, der betrunken neben meinem Vater saß und den Arm um seine Schultern gelegt hatte. Mein Vater prostete ihm mit seinem Cay-Glas zu und nickte.
Herr Machotka, der von seinen Kindern „Data“ genannt wurde, saß meistens mit Flora zu seinen Füßen vor dem Haus auf einer Bank und rauchte Zigarillos. Unfreiwillig wurde er unser Schiedsrichter, wenn wir „Pfennig-Fuchsen“ spielten. Zugegeben, es war ein Glücksspiel, aber viel mehr ging es um Geschicklichkeit: Wir warfen dabei Geldstücke gegen eine Wand und der Spieler dessen Geldstück der Wand am nächsten war, gewann. Allerdings musste er noch die Münzen mit einem Schwung von der Handinnenfläche auf die Handoberfläche befördern, dann mit einem Satz in die Luft werfen und mit derselben Hand wieder einfangen. Wenn ihm bei dieser „Akrobatik-Einlage“ einige Münzen auf den Boden fielen, gehörten sie dem zweiten Gewinner, der dieses Kunststück wiederholte, bis auch das letzte Geldstück in irgendeine Hosetasche wandern durfte.
Herr Machotka musste gelegentlich einen Streit schlichten oder uns zum Aufhören bewegen, wenn unser Spieltrieb mit uns durchging und wir Gewinne in astronomischer Höhe von zwei Mark überschritten hatten. Herr Machotka war bei seinen Vermittlungen allerdings stets gerecht. Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, dass er jemals seine eigenen Kinder bevorzugt hätte. Aber, manchmal hatte er keine Lust, sich in „Kinder Angelegenheiten“ einzumischen. „Lasst mich in Ruhe“, murrte er dann und zog kräftig an seinem Zigarillo. Dabei formte er seinen Mund zu einem „O“ und wir wussten, dass gleich kunstvolle kleine Rauchkringel seinen Mund verlassen würden. Wir vergaßen unseren Streit und klatschten begeistert in die Hände.
Manchmal brachte meine Mutter Cay und Börek nach draußen und setzte sich dazu. Von den achtzehn Kindern lebten „nur“ noch zwölf zu Hause, die anderen waren erwachsen und hatten bereits eigene Kinder. Jeden Sonntag kamen die „Großen“ ihre Eltern besuchen und parkten ihre auf Hochglanz polierten Autos vorne auf der Straße. Herr Machotka hatte seinen Söhnen das Scherenschleifen beigebracht, womit sie neben gelegentlichen Tagelöhner-Jobs ihren Lebensunterhalt verdienten. Sie waren Sinti, und ihr Heimatland war das heutige Tschechien. Die Machotkas sprachen eine Mischung aus tschechisch, Sinti und Deutsch. „Dig da nascht a glisti“ hieß „Schau, da kommt die Polizei“. Ich will hier nicht den Eindruck erwecken, dass diese Leute kriminell waren (wahrscheinlich wurden sie besonders oft von der Polizei kontrolliert), aber diesen Satz habe ich nun mal behalten. Ein zweimal war die Polizei auch wirklich da, weil irgendeines der Kinder etwas geklaut hatte - aber tun das nicht auch Kinder reicher Leute?
Die „Machotka-Kinder“ gingen alle in die Sonderschule, bis auf Rosa. Rosa und ich besuchten die dritte Klasse einer stinknormalen Grundschule. Ihre Augen hatten das gleiche „blau“ ihres Vaters und konnten ebenso funkeln, wenn sie wütend wurde. Obwohl sie erst neun Jahre alt war, trug sie fortwährend ihren jüngsten Bruder Karl durch die Gegend. Der Kleine schien an ihre Hüfte angewachsen zu sein. Sobald sie ihn weglegte, schrie er. Zwischen den Baracken befanden sich Spielwiesen und - man staune - ganz ohne Verbotsschilder. Es gab auch keinen Hausmeister, der uns von dort wegjagen konnte. Ein Kinderparadies. Wir spielten draußen bis es dunkel wurde und in den Sommerferien verbrachten wir dort manchmal die Nacht in einem Zelt.
Wenn ich Ihnen das alles erzähle, könnte man den Eindruck gewinnen, die Erwachsenen, die mich in meiner Kindheit umgeben haben, waren alle weise und gut. Natürlich war das nicht so! Es gab auch die Anderen - ein Polizist zum Beispiel, der uns Kindern nachts bei einem unserer Ausflüge hinterhergelaufen war und dabei mich erwischt hatte, schlug mich ins Gesicht. Meine Nase blutete und meine Lippe war aufgeplatzt. Dann ließ er mich los und ging zurück zu seinem Polizeiauto - ich war damals Neun. Meinen Eltern habe ich das nie erzählt. Diese und ähnliche Geschichten sind nicht ungeschehen oder vergessen, aber ich erzähle lieber von Menschen, die mich positiv beeinflusst haben.
Die Weihnachtsfeste bei den Machotkas haben meine Liebe zu Weihnachten stark geprägt. Nie wieder in meinem Leben habe ich so schöne Weihnachtsfeste erlebt, wie dort. In ihrem kuschelig-warmen Wohnzimmer saßen dann achtzehn Kinder, eine Hündin mit ihren Welpen und zahlreiche Säuglinge, die von einem Arm zum anderen gereicht wurden. Und wir, die türkischen Nachbarn mit ihren vier Kindern mittendrin. Heiligabend war eher wie eine Party, denn wie ein besinnliches Familienfest. Aus den Kinderzimmern dröhnten die aktuellen Hits und die beiden Toiletten waren ständig besetzt, weil die Mädchen sich dort schminkten oder heimlich rauchten. Die Jungs gingen zum „Heimlich-Rauchen“ lieber nach draußen und jagten Silvesterknaller in die Luft. Es roch nach selbstgebackenen Plätzchen und frischem Kaffee. Ein riesiger knallbunt geschmückter Weihnachtsbaum schien uns alle mütterlich in den Arm zu nehmen. Später gab es leckeres böhmisches Essen und Bier. Nach dem Essen versammelten wir uns vor dem einzigen Fernseher im Wohnzimmer und sahen uns „Sissi - die Kaiserin“ - oder „Lederstrumpf“ mir Raimund Harmstoff, an. Die Bescherung war stets chaotisch und von gelegentlichen Weinkrämpfen der Kleinen unterbrochen. Eifersuchtsausbrüche waren an der Tagesordnung. Frau Machotka packte dann die Streithähne an den Ohren und schickte sie in das Kinderzimmer. Selbst meine Mutter trank zur Feier des Tages ein wenig Bier - obwohl doch Alkohol für Moslems verboten war - aber hier ging es um mehr - es ging um Freundschaft. Allah würde das schon verstehen!
Zu dieser Zeit hatte ich quasi zwei „beste Freundinnen“. Susanne, das Mädchen aus der Nobelgegend und Rosa. Wir drei gingen in dieselbe Klasse. Im Gegensatz zu den anderen Kindern aus der Gegend durfte Susanne mit uns spielen. Ihre Eltern hatten keine Angst davor, dass wir „Schmuddelkinder“, wie man uns in der Nachbarschaft nannte, ihr einziges Kind verderben könnten. Allerdings kam Susanne mich oder Rosa niemals besuchen. Den Grund dafür weiß ich nicht mehr. Möglicherweise hatte ich sie nie danach gefragt. Jedenfalls war es bei ihr ganz anders als bei uns - nicht so chaotisch - aber nicht minder liebevoll. Das lag mit Sicherheit an Susannes Großmutter, Frau Nicklas. Es ist schon sonderbar, aber ich erinnere mich nicht mehr an Frau Nicklas‘s Gesicht. Ich erinnere mich nur an das Gefühl, das sie in mir auslöste. Sie war eine warmherzige und ruhige alte Dame, die mir oft Komplimente machte. Es gab eine Zeit, da ging ich beinahe täglich dorthin um zu Spielen. Meinen Eltern war das recht. Diese deutsche Familie brachte mir gute Manieren und eine gute Ausdrucksweise bei. Außerdem machte ich dort meine Hausaufgaben. Häufig ging ich direkt nach der Schule zu Susanne, wo ein leckeres Mittagessen auf uns wartete. Pünktlich um fünfzehn Uhr musste meine deutsche Freundin ihre Klavierübungen machen, manchmal sang ich dazu, wobei ich das mit dem Musizieren nicht sonderlich ernst nahm. Als Susanne aber nach der vierten Klasse das Musische Gymnasium besuchen sollte, fragte mich Frau Nicklas, ob ich nicht auch dorthin gehen wolle, schließlich waren meine Noten gut. Auch meine Lehrerin riet meinen Eltern dazu - schriftlich - denn zu den Elternsprechtagen gingen sie nie hin. Meine Eltern kümmerten sich nicht um solche Dinge - solange keine Beschwerden seitens der Schule auf sie zukamen - ließen sie uns gewähren. Ich wurde während meiner ganzen Schulzeit nicht ein einziges Mal zum Lernen aufgefordert. Ich tat es einfach, weil ich Lust dazu hatte. Oder auch nicht. Frau Nicklas nahm das Ganze dann selbst in die Hand: Sie schenkte mir eine alte Geige und ging mit mir zum Gymnasium, wo Susanne bereits eingeschrieben war, um mich dort anzumelden. Kopfschüttelnd schickte man uns wieder weg, die Eltern müssten schon selbst kommen, verlangten sie. Ich weiß nicht, was danach geschah, aber das mit dem Gymnasium und der Musik schlief irgendwie wieder ein. Die Geige habe ich nicht behalten.
Zurück zu David…David und ich wollten uns treffen, um gemeinsam Musik zu machen. Aber wir wussten beide, dass es sich bei unserem Treffen nicht nur um die Musik ging. Ich war Single und er war wieder Single. Und das mit der Musik war ein unverfänglicher Rahmen für ein Blind-Date, den unser gemeinsamer Freund Reinhard so fein eingefädelt hatte. Wir mussten uns nicht gefallen, aber wir konnten! Echte Blinde-Dates sind nervig. Man trifft sich mit einer wildfremden Person, mit der man bestenfalls einen unterhaltsamen Abend verbringt, um sich danach nie wieder zu sehen. Und manchmal würde man am liebsten bereits nach dem ersten Händedruck das Weite suchen. Das war dann der Moment, an dem man das Telefon, das einem so bitter getäuscht hatte wieder einmal verfluchte. „Offline-Schock“ nennt man so was.
Ich freute mich auf David. Und ich freute mich auf das gemeinsame Musizieren. Für den Abend mit David hatte ich eine Kleinigkeit zu Essen vorbereitet. Mikail deckte gerade den Tisch, als es klingelte. Es war ein sehr kalter Winterabend. Über Nacht brach eine Kältewelle ein, die selbst den größten „Mützenhasser“ zwang, sich wie ein Eskimo einzumummen. David kam völlig durchgefroren bei uns an.
„Mein Auto ist heute Morgen nicht angesprungen“, erzählte er, während er seinen Mantel auszog. Er rieb sich die Hände. „Kalt!“ sagte er und sah sich um. Er trug eine schwarze Jeans und einen weißen dicken Pullover mit Zopfmuster. Als ich ihn zur Begrüßung auf die Wange küsste, vernahm ich eine Mischung aus Tabakgeruch und einem verdammt leckeren Aftershave. In diesem Moment spürte ich, was mir in den letzten drei Jahren gefehlt hatte. Es waren diese kleinen Dinge wie das Pieksen einer unrasierten Wange oder das Strecken nach einem Mann, der Zweikopf größer war als ich.
„Fahrenheit!“ sagte ich. David sah mich fragend an.
„Du trägst Fahrenheit diesen Duft...!“ Was redete ich da?
„Ich mag ihn - diesen Duft“, stammelte ich nun und machte alles schlimmer. David schien sich zu amüsieren. Er verbarg mit Mühe ein Lächeln.
„Danke!“ Er sah mich lange an. Ich konnte seinen Blick nicht halten. Ich war verlegen und schüchtern wie eine Vierzehnjährige bei ihrem ersten Date.
„Ich zieh wohl besser meine Stiefel aus“, entschied David. Verdammt, er stand da, zog in aller Ruhe seine Stiefel aus und zeigte nicht den geringsten Hauch von Unsicherheit, während ich von einem Fuß auf den anderen trat und wirres Zeug von mir gab. David stellte seine matschigen Stiefel ordentlich auf das Schuhregal rechts neben der Eingangstüre.
„Warte ich gebe dir warme Socken“, sagte ich schnell und kam mit ein paar dicken Ski-Strümpfen zurück.
„Hmm, hier duftet es aber gut“, bemerkte David und folgte mir in meine Wohnküche. Mikail hatte einige Kerzen zum Abendessen angezündet.
„Wir machen das immer“, erklärte ich. Er sollte nicht denken, ich wolle für romantische Stimmung sorgen.
„Wir auch“, sagte David. Seine Stimme klang rauh. „Das heißt, wir machten das auch, Martina und ich.“ Nun sah auch er verlegen aus. Also doch nicht „Mr. Cool!“
In diesem Moment spürte ich, dass David noch lange nicht über seine Frau hinweg sein konnte. Wie denn auch? Schließlich waren sie über zwanzig Jahre verheiratet gewesen. Ihre Ehe blieb kinderlos und Martina hatte sich vor einem Jahr in einen anderen Mann verliebt. Nun sei sie schwanger, von ihrem neuen Freund, der zehn Jahre jünger war als David. All dies hatte mir Reinhard ausgeplaudert.
„Setzen wir uns?“ Ich zeigte auf eines der Korbstühle. Das Essen schmeckte gut und der Wein, den David mitgebracht hatte, passte hervorragend dazu. Mikail zeigte sich zu meiner Freude von seiner besten Seite. Kein Wunder, David „outete“ sich als „Manga-Fan“. Die beiden tauschten „Internas“ über die neuesten Manga-Bücher aus, bis Mikail sich artig verabschiedete und sich in sein Zimmer verzog.
David hatte seine Gitarre nicht mitgebracht. Ein wenig wunderte mich das schon - schließlich sind Musiker in dieser Beziehung ganz eigen. Er räusperte sich.
„Wollen wir anfangen?"
Ich ging in mein Schlafzimmer um die Gitarre zu holen.
„Habe sie gerade eben gestimmt, aber wenn du möchtest...“ Ich reichte David die Gitarre und das Stimmgerät. „Warte!“ sagte ich dann und kam mit der Zweitgitarre zurück. Gemeinsam stimmten wir die Gitarren neu und ich begann damit einige Akkorde anzuspielen. Ich sang nicht. Warum war ich nur so nervös? Dann atmete ich tief durch und rief mich innerlich zur Gelassenheit. Von da an galt meine Konzentration der Musik. Es war nicht so, dass ich nicht mehr registrierte, dass ein unglaublich attraktiver Mann mir gegenüber saß, der mir von Minute zu Minute mehr gefiel, aber der Flirtfaktor rutschte gewissermaßen unter die Nullgrenze. Vermutlich ging es ihm ebenso. Er schien völlig in seinem Gitarrenspiel auf zu gehen. An besonders schwierigen Stellen zog er ein wenig die Schultern nach oben und presste die Lippen fest aufeinander. Als er dann noch seine Augenbrauen ergriffen hochzog, musste ich mich zusammen reißen, um nicht laut aufzulachen. David begleitete mich mit völliger Hingabe und an manchen Stellen beinahe lautlos. Ihm ging es nicht darum mich zu beeindrucken oder mich an die Wand zu spielen. Ihm ging es einzig allein um den Klang zweier Instrumente.
Als wir eine Pause einlegten, sagte ich ohne ihn anzusehen „Du bist sehr gut. Da komme ich mir wie eine Anfängerin vor.“ David antwortete nicht. Stattdessen strich er mir mit seinem Handrücken sanft über die Wange.
„Es war sehr schön. Ich mag deine Stimme“, sagte er als er sich von mir verabschiedete. Ich freute mich wie eine Zweitklässlerin, die eine Eins bekommen hatte.
„Wir müssen das ganz bald wiederholen, ja?“
„Na klar! Nächsten Freitag?“ fragte ich.
„Und was ist mit Morgen?“
„Nä, da geht’s leider nicht“, log ich. „Ich habe erst nächsten Freitag Zeit.“
Als ich später im Bett lag, freute ich mich auf das, was mir bevorstand. Ich würde jeden einzelnen Tag bis zu unserem nächsten Treffen in freudiger Erwartung genießen: Würde im Auto wieder meine Lieblingslieder hören und weniger essen, weil ich innerlich satt war. Ganz gleich, ob sich zwischen David und mir etwas entwickeln würde, ich würde nichts ereilen.
David rief mich gleich am nächsten Morgen im Büro an. Seine Stimme klang jetzt schon so vertraut. Ob ich Lust hätte, mit ihm Essen zu gehen, fragte er mich. „Ja, ja und wie ich Lust habe!“ schrie ich innerlich. Aber hatte ich nicht jedes Mal fürchterlich gelitten, wenn ich es einem Mann zu leicht gemacht hatte? Wir würden essen gehen und danach würde er sich nicht mehr melden. Und ich? Ich würde das Telefon bewachen und unglücklich sein, weil ich wieder einmal derjenige sein würde, der mit seinen Gefühlen schneller war, an dem anderen vorbei raste, wie bei einem Autorennen. Und war nicht immer derjenige im Nachteil der sich zuerst verliebte? Nein, diesmal sollte es anders sein. Es musste anders sein. Dieses eine Mal wollte ich mir Zeit lassen, mehr Zeit als sonst. Viel mehr Zeit als sonst. Deshalb log ich:
„Oh, nein, das geht nicht. Entschuldige. Ich muss meine Steuer machen. Wir sehen uns ja dann am Freitag nächste Woche. Okay?“
„Okay“ murmelte David. Seine Stimme klang kühl. Wenn ein Mann mir gesagt hätte, dass er sich mit mir nicht treffen könne, weil er seine „Steuer“ machen müsse, hätte ich ihm kein Wort geglaubt. Zumindest wäre ich davon ausgegangen, dass ich nicht so toll für ihn gewesen sein konnte, sonst hätte er ja sogar seine Großmutter für mich stehen lassen.
Meine Zurückhaltung verfehlte seine Wirkung nicht. Männer waren ja so einfach zu lenken. David musste nun eine Woche bis zum Wiedersehen warten, ob er wollte oder nicht. Das Spiel war eröffnet. Doch gab es hier am Schluss überhaupt einen Sieger? Und musste dieses Spiel von Nähe und Distanz wirklich sein, um die Aufmerksamkeit eines Mannes für immer zu sichern? Eigentlich hatte ich keine Lust auf diese Dinge. Aber ich wusste nicht, wie ich es sonst anstellen sollte - zu groß war die Angst, Davids Interesse zu schnell zu verlieren. Irgendeine Diva, ich glaube Marlene Dietrich war es, soll einmal gesagt haben, nichts mache eine Frau in den Augen eines Mannes so schön, wie wenn sie es verstünde, sich im richtigen Moment zurückzuziehen.
Es gab allerdings noch einen anderen Grund, einen vernünftigen Grund für meine Zurückhaltung: Martina. David war mit Martina zwanzig Jahre zusammen gewesen. Seit seinem zwanzigsten Lebensjahr hatte er nur eine Frau geliebt. Na ja, das heißt nicht, dass er immer nur sie geliebt haben muss - vielleicht hatte er sie ja auch mal betrogen. Aber er war bei ihr geblieben und das zählte. Ich hatte den Verdacht, dass David sich per tout verlieben wollte. Wahrscheinlich musste er sich verlieben um zu überleben. Und wenn ich mich dafür hergab, würde er nach einer anfänglichen Begeisterung für mich, anfangen seine Frau zu vermissen. Also, musste ich warten. Ich fühlte, dass ich ihm gefiel - und er? Davids Sensibilität und Ruhe entflammten in mir eine bis dahin unbekannte Leidenschaft einem Mann gegenüber, der eigentlich gar nicht mein Typ war. Männer, die in ihrem Leben nur mit einer Frau zusammen gewesen waren, fand ich bislang langweilig. Dieser Mann jedoch war anders als die Männer, in die ich mich bisher verliebt hatte. Oder war ich selbst diejenige, die anders geworden war, reifer, weniger oberflächlich, so dass mir Eigenarten eines Mannes plötzlich zusagten, die ich früher als spießig abgetan hätte? Vielleicht lag es daran, dass ich das Gefühl hatte, dass ER es war, auf den ich ein Leben lang gewartet hatte.
„Bla, bla, bla!! Glaubst du das nicht jedes Mal, wenn du dich neu verliebst?“ sagte meine innere Stimme. Wenn ich ganz ehrlich bin, glaubte ich das wirklich jedes Mal.
Okay. Offenbar hatte ich bei Amor bislang noch keinen Hauptpreis gezogen, aber waren nun all die Männer, die ich bisher geliebt hatte nur „Trostpreise“? Kann mir jemand sagen, wie es sich anfühlt, wenn man eines Tages „Mr. Right“ begegnete? Dieses gewisse etwas, diese Magie zwischen zwei Menschen, die offenbar jeder kannte, nur nicht ich.
Meine Freundin Nathalie zum Beispiel: Sie habe ihren „Mr. Right“ auf einem Straßenfest kennen gelernt. Sie habe ihn gesehen und den tiefen Drang gespürt ihn anzusprechen. Das sei absolut gegen ihre Art gewesen, noch nie habe sie einen Mann angesprochen. Nathalie hatte das auch gar nicht nötig. Sie konnte sich kaum retten vor „Dates“. Aber eben bei diesem einen Mann, war es anders gewesen. Sie fühlte sich von ihm angezogen wie von einer höheren Macht. Ihm sei es genauso gegangen, erzählte Nathalie. Auch er habe sie vom ersten Moment an geliebt. Immerhin sind die beiden nun seit mehr als zehn Jahren zusammen. Menschen wie Nathalie waren offenbar zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort - dann ein hin- und her fliegender Amor, der brav seine Pfeile verschießt und schon hatten wir ein Pärchen mehr, das seinen Seelenverwandten gefunden hatte und im Siebten Himmel der Glückseligkeit schwebte.
Warum passierte mir so etwas nicht? Nu mal sachte! Vielleicht stand es mir ja noch bevor? Aber wissen Sie was? Wenn ich ehrlich bin, glaube ich eigentlich gar nicht an die ganze Schmuse-Kiste voll gepackt mit Magie, Kismet und Schicksal. Ich weiß, es klingt total paradox, aber genau deshalb glaubte ich jedes Mal, ich sei dem „Mr. Right“ begegnet.
Also, was tun? Eine neue Liebe im Keim ersticken, nur weil man beim ersten Treffen kein Symphonie-Orchester hörte? Oder sollte man die gegenwärtige Beziehung halbherzig führen und hoffen, dass man eingebettet in einer halbwegs guten Partnerschaft diesen so genannten „One-and-only-Dream-Man“ irgendwann treffen würde, um dann im richtigen Moment den gegenwärtigen Partner in den Mond zu schießen?
Nein, so ging es nicht weiter! Zuerst musste ich damit aufhören, ständig jede kleinste meiner Regungen analysieren zu wollen. Was wollte ich eigentlich? Die Formel knacken wie man den richtigen Partner findet und sehr wichtig - ein Leben lang halten kann? Wollte ich wirklich einen Mann für das ganze Leben? Hah! Für das halbe Leben sollte ich vielleicht sagen, schließlich bin ich ja über vierzig! Ich beschloss für diesen Tag nicht mehr an David und mein Liebesleben zu denken - anstatt dessen setzte ich mich an meinen Schreibtisch und widmete mich meiner Einkommenssteuer.
In den darauf folgenden Tagen erhielt ich täglich zwei Kurzmitteilungen von David. Eine morgens und eine abends. Es war ihm wohl völlig egal, ob ich seine kleinen Liebesbotschaften beantwortete oder nicht. Einerseits war ich überglücklich, dass er mir hinterherlief - andererseits war ich von seiner Begeisterung für mich etwas enttäuscht. Wie? Enttäuscht!? Werden Sie jetzt vielleicht sagen. Ich erkläre es Ihnen: Nach unserem ersten Treffen hatte ich den Eindruck, er sei derjenige von uns beiden, der schwer zu kriegen war. Ich hatte mich schon innerlich auf eine langsam wachsende Annäherung eingestellt. Aber dann diese vielen E-Mails. Irgendwie passte diese Haltung nicht zu ihm. Sein Werben wirkte auf mich hektisch - ja beinahe aggressiv. Meine sehr seltenen Reaktionen auf seine Liebesbekundungen formulierte ich stets im kumpelhaft unverbindlichen Ton. Je zurückhaltender ich wurde, desto extrovertierter und leidenschaftlicher wurden seine Formulierungen. Wahrscheinlich denken Männer, es handele sich bei einer Frau um ein besonders seltenes Exemplar, wenn es gar so schwer war ihr Herz zu erobern. Ich bin sicher, dass Sie, liebe Leserin dieses Gefühl kennen: Einerseits fühlt man sich wie eine Göttin, andererseits, weiß eine kluge Frau ganz genau, dass das Verfallsdatum derselben schnell erreicht ist.
Ich fragte mich - ganz ernsthaft - wie lange würde ich es noch aushalten so „cool“ zu sein? Irgendwann würde er es doch merken, dass ich ihn genau so wollte. Oder hatte er etwa mein Spiel längst durchschaut und genoss es auf eine sonderbare Weise zu leiden. Vielleicht kam ich ja gerade recht. Er, der Verlassene wurde durch eine neue Liebe abgelenkt, während die eigentliche Königin seines Herzens auf und davon war. Oh Nein! Ich erschrak. Am Ende war ich nur so eine Art „Selbstbewußtsein-Aufbau-Camp“ – ich sollte sein Ego aufbauen, ihn voll tanken, damit er zur gegebenen Zeit seine Ex wieder neu anbaggern konnte.
„Schluss jetzt!“ mahnte mich mein innerer Mentor. „Aufhören sofort! All diese Überlegungen bringen dich keinen Deut weiter.“
Nun ja, bis zu unserem nächsten Treffen waren es nur noch zwei Tage. Zwei klitzekleine Tage. Also lief ich zum Kleiderschrank um mich für den restlichen Abend der Garderobenfrage zu widmen.
Endlich war es so weit. Wir trafen uns wieder bei mir, um an den Songs weiter zu arbeiten. Es kostete mich unendlich viel Kraft, ihm meine wahren Gefühle nicht zu zeigen. Jedes mal wenn er mich ansah, blickte ich weg, meine Bewegungen waren fahrig, mein Tonfall piepsig. Als er irgendwann die Gitarre wegstellte und meine Hand berührte, zuckte ich zusammen. Er sah mich fragend an. „Hör zu David! Wir sollten hier ausschließlich arbeiten und nicht flirten.“ Ich hatte ihn vor den Kopf gestoßen. Etwas sanfter sagte ich, „Wenn du möchtest können wir nächste Woche einmal essen gehen?“ Nun blickte ich ihn an wie ein Auto, das seine Scheinwerfer plötzlich angeworfen hatte. David lehnte sich nach hinten und schwieg. „Gut, ich habe verstanden“, sagte er nach einer Ewigkeit. Dass er immer so lange Pausen machen musste! „Passt es dir am Dienstag?“ fragte ich schnell und räumte die Notenblätter zusammen. David nickte. „Ach ja, wenn es dir recht ist, hole ich dich mit meinem Auto ab“, warf ich noch hinterher. Viel lieber hätte David mich abgeholt, aber das ließ ich nicht zu - noch zu deutlich war mir der Flop mit meiner letzten Verabredung in Erinnerung geblieben - als ich nach einem gescheiterten Rendezvous, mitten in der „Pampa“ ein Taxi nehmen musste. Nein danke! Außerdem hatte ich mich besser im Griff, wenn ich mein eigenes Auto lenkte.
In den nächsten Tagen schrieb mir David keine SMSen mehr. Er rief auch nicht an. Das war mir nun auch nicht recht. Er sollte mir schon schreiben, aber nicht so oft.
Endlich war es Dienstag. Gegen neunzehn Uhr fuhr ich von zu Hause los - das war zwar reichlich früh, aber ich wollte unbedingt pünktlich sein. „A6 Richtung Nürnberg zwanzig Kilometer Stau wegen Bauarbeiten. Bitte fahren sie vorsichtig. Wegen gefrierender Nässe kann es zu Glatteisbildungen kommen“, sagte die Nachrichtensprecherin aus dem Radio. Ich schaltete den Kassetten Rekorder an. Ich hatte keine Lust zum zwanzigsten Mal am Tag „Madonna“ oder „Robbie Williams“ zu hören. Stattdessen ließ ich mich von alten Songs der göttlichen ‚Hildegard Knef’ verzaubern.
David wohnte in der Kaiserstraße, mitten in Schwabing, allein die Parkplatzsuche würde eine halbe Stunde verschlingen. Zwischen Fahrradständern und Mülltonnen suchte ich mir den Weg zu seinem Hauseingang. Ah, hier war er. Ein altes Metallschild mit rostigen Nägeln und altdeutscher Schrift blinkte vor mir auf: Kaiserstraße dreiundsechzig. Wie war doch gleich noch mal sein Nachname? Hatte er nicht erwähnt, dass er im zweiten Stock wohne? Ich ging noch einmal einen Schritt zurück und blickte die Fassade hinauf und sah wie das Licht im Treppenflur anging. Mit schnellen Schritten rannte jemand die Stufen herunter und riss die Türe auf. „David!“ sagte ich und es klang wie eine Frage. Er war ganz außer Atem.
„Hi Hülya!“ rief er fröhlich und nahm mich in den Arm. Er drückte mich fest an sich. Und er roch so gut nach Mann, am liebsten hätte ich gerufen: „Lass uns hinauf gehen und einfach nur kuscheln.“
„Naa, geht’s gut?“ fragte ich anstatt dessen im kumpelhaften Ton und klopfte ihm auf die Schulter.
„Jetzt gut! Siehst gut aus. Und du hast dich geschminkt. Hm. Ganz dezent, gefällt mir.“ Ich ließ mir meine Freude über seine Äußerungen nicht anmerken.
Wir fuhren zu meinem Lieblings-Chinesen. Den Tisch, gleich neben dem riesigen Aquarium hatte ich reservieren lassen. David sah mich lange schweigend an. So als wollte er herausfinden, was ich in diesem Moment dachte. Es machte mir nichts aus. Dieses Schweigen, dieser Ausdruck in seinem Gesicht mit diesem besonderen Lächeln war schöner als jedes Gespräch. Auch ich verweilte in seinem Gesicht, ließ mich darin treiben, streichelte ihn mit meinen Augen. David spielte gedankenverloren mit meinen Fingerspitzen. Seine Fingerspitzen waren erstaunlich weich für die eines Gitarristen.
„Du bist so anders. So verdammt anders als die anderen Frauen“, begann er und machte ein Gesicht dabei, wie ein Mathe-Professor kurz vor der Lösung einer schwierigen Formel.
„So cool.“
„So cool?“ tat ich überrascht. „Ich bin nicht cool…Ich will mir nur Zeit lassen. Das ist alles.“
„Zeit lassen? Gut!“ David legte meine Hand langsam auf den Tisch zurück. Er strich dabei noch einmal über jeden Finger einzeln, bevor er fragte. „Worüber wollen wir reden?“ Nun war sein Blick nicht mehr so weich. Eher wie unter Kollegen in einem anstrengenden Meeting. Ich war so sehr verliebt, dass ich Angst hatte, meine Augen würden alles verraten. Also spielte ich mit der Speisekarte. „Rede mit ihm, so wie man mit einem Kumpel spricht, komm’ sei nicht so verstockt“ schalt ich mich selbst. Bald hatte ich mich wieder im Griff.
„Erzähl mir von deiner Arbeit!“ schlug ich vor und setzte mich gerade hin. Ich wartete. David begann er zu erzählen. Zwischendurch machte er eine Pause, so als wollte er prüfen, ob ich ihm noch zuhörte. David war Arzt. Er arbeitete zurzeit in einer Kinderarztpraxis - vertretungsweise - weil der praktizierende Kollege kürzlich verstorben war. Ich selbst hatte viele Jahre bei Kinderärzten gearbeitet, so hatten wir genug Gesprächsstoff für die nächsten zwei Stunden.
„Ich finde, die Augen-und Hörtests, die bei der U8 und U9 von Kinderärzten gemacht werden, katastrophal“, stellte ich fest. „Ich meine, den Test führt dann irgendein Azubi durch. Die hat doch noch gar keine Erfahrung. Spätestens in der Schule, wenn das Kind am Unterricht nicht mehr richtig mitkommt, fliegt…“ Ich suchte nach dem richtigen Beispiel. „…die Sehschwäche auf. Dann erst gehen die Eltern mit dem Kind zu einem Facharzt um vernünftige Tests durchführen zu lassen. Warum hast du eigentlich keine eigene Praxis?“
„Ich will bei der Behandlung der Patienten nicht ständig an das Geld denken müssen“, erklärte er. Das beeindruckte mich. Ich verstand ihn nur allzu gut. Niedergelassene Ärzte waren eher Geschäftsmänner denn Mediziner.
Die Zeit verging wie im Fluge und keiner von uns langweilte sich auch nur eine Sekunde. Nach dem Essen fuhr ich David nach Hause, obwohl er mit mir viel lieber „um die Häuser gezogen“ wäre, schließlich war es Samstagabend.
Meine innere Stimme meldete sich wieder: „Nein, lass es. Hör auf, wenn es am schönsten ist. Es läuft dir nichts weg. Bleib stark!“
„Ich möchte nach Hause“, sagte ich deshalb und blickte an ihm vorbei. „Wir sehen uns doch schon in drei Tagen“, lachte ich etwas hysterisch als ich sein skeptisches Gesicht sah.
„In drei Tagen? Schon in drei Tagen? Was bist du nur für eine coole Person“, rief er ungläubig und biss bei dem Wort „cool“ auf die Zähne und packte mich von hinten und drehte mich um seine eigene Achse. Nun kitzelte er mich auch noch. Wir balgten herum wie Teenager. Und das mitten in der Nacht. Bis irgendwann jemand das Fenster öffnete und herunter schrie, wir sollten uns „schleichen, sonst hole er die Polizei."
„Schlaf gut“, flüsterte ich noch nach Luft schnappend und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf den Mund. David zog mich an sich und sah mich lange an. Dann begann er mich zu küssen. Mitten auf der Straße. Allerdings hielt ich mich noch deutlich zurück. Mein Kontrollmechanismus lief auf Hochtouren. Dann mussten wir beide laut auflachen, als wir denselben Mann, der noch vor wenigen Minuten mit der Polizei gedroht hatte, rufen hörten „Ja, liebt euch, los liebt euch!“ Verrückte Welt. David nahm vorsichtig mein Gesicht in seine Hände und küsste mich von neuem. Diesmal ließ ich es zu. All meine Gefühle, die ich in meinem Innersten eingeschlossen hatte, nicht herausließ, all die Zärtlichkeit, die ich für ihn empfand, die Sehnsucht, die ich für ihn jetzt schon spürte, obwohl wir noch keine echte Trennung erlebt hatten, geschweige denn einen richtigen Anfang und all meine Scham, die in mir hochkam, weil ich ihm etwas vormachte, ihn hinhielt - steckte ich in diesen einen Kuss.
Ich glaube, David spürte das. Jeder konnte sehen, wie verliebt ich war, wenn ich ihn ansah. Wir leben in einer Welt, in der Worte zählen. Und meine Worte brachten uns beide wieder zurück auf den Boden der Tatsachen.
„Gute Nacht David. Bis Mittwoch.“ Ich warf ihm eine Kusshand und stieg in mein Auto. Im Rückspiegel konnte ich sehen, wie er noch dastand. Wie ein begossener Pudel. Paralysiert. Verständnislos. Hoffend, dass ich plötzlich umkehre und ihn in seine Wohnung begleite und mit ihm schlafe würde. Ihn vögeln, die ganze Nacht hindurch und den Tag danach. Immer und immer wieder. Meine Zurückhaltung - nein - nennen wir es ruhig beim Namen - meine berechnende, unehrliche Art - getarnt in dem schönen Wort „Zeit lassen“ lösten bei David eine unbekannte Sehnsucht aus. Nicht nur rein sexuell. Martina war die Frau die er zwei Jahrzehnte lang geliebt hatte. Der Sex mit ihr war schön gewesen, aber an die anfängliche Aufregung mit ihr konnte er sich schon lange nicht mehr erinnern. Drei mal hatte er sie während dieser Zeit betrogen - stets waren es „One-Night-Stands“ mit irgendwelchen Frauen gewesen, um die er nicht sonderlich kämpfen musste. Sein Begehren stieg ins Unermessliche. Für ihn war ich nicht greifbar, aalglatt und unverbindlich. Und meine aufrechten Gefühle für ihn, die er sehr wohl im Unbewussten wahrnahm, verwirrten ihn mehr, als dass sie ihn beruhigten. Vor vier Monaten hatte Martina ihn verlassen. Noch vor vier Monaten wollte er sich das Leben nehmen, weil er ohne sie verloren war. Und nun kam ich daher und quälte ihn mit meiner Art. In diesem Moment hasste er mich. Er hasste mich dafür, dass ich ihm nicht sagte, was ich für ihn empfand. Er tat es auch nicht. Er gehörte nicht zu den Männern, die vor einer Frau auf die Knie fielen und sie anbettelten. David sperrte seine Wohnungstür auf und fasste sich an den Schwanz der steinhart geworden war. Er ließ sich bei völliger Dunkelheit auf sein Bett fallen und befriedigte sich selbst. Für kurze Zeit entspannt fiel er in einen traumlosen Schlaf.
Am nächsten Tag, es war Sonntag, rief er gegen Mittag an. Ob ich schon gefrühstückt hätte und ob ich mit ihm spazieren gehen wolle. „Und dann auf einen Kaffee ins ‚Suzis’?“ fragte er mich.
„Nein!“ antwortete ich kühl. Dann in einem wärmeren Ton: „Tut mir leid, das geht nicht. Ich muss etwas für die Firma erledigen. Eine Präsentation.“ Ich log. Ich wusste ganz genau, dass nach dem gestrigen Abend ein paar Tage zur „Abkühlung“ nötig waren. Ich wollte einfach nicht, dass es so schnell ging. Wenn ich ihm etwas bedeutete, würde er das verstehen. David verstand es nicht.
„Du hast mich gestern geküsst, es war kein Kuss unter Freunden!“ Davids Stimme klang verletzt. Ich spürte einen nadelfeinen Stich in der Herzgegend.
„Nein, nicht ich habe dich geküsst, sondern wir haben uns geküsst. David ich mag dich. Aber Liebe ist es nicht!“ schmetterte ich ihm ins Gesicht und hatte somit den „K.O.-Satz“ ausgesprochen. Eine Ewigkeit war es still am anderen Ende der Leitung. Mein Herz setzte aus. Was tat ich da? Ich erschrak vor mir selbst. Aber ich konnte nicht mehr zurück. Einen Bruchteil einer Sekunde war ich mir nicht sicher, ob sich hinter meinem Verhalten nicht Sadismus verbarg. Aber empfinden sadistische Menschen nicht Lust dabei, wenn sie andere quälten? Ich empfand keine Lust, wenn ich ihn zurückwies. Im Gegenteil, ich fühlte mich danach jedes Mal schlecht. So konnte ich nicht weitermachen. Um mich vor Liebes-Schmerzen zu schützen, tat ich einem anderen Menschen weh.
Gewiss, diese Taktiken lösten eine gewisse Macht über den Anderen aus. Aber wollte ich wirklich Macht über David haben? Ich beschloss augenblicklich damit aufzuhören. Von nun an wollte ich mich so zeigen wie ich war. David schien nichts davon zu merken. „Sehen wir uns Morgen?“ fragte ich. Meine Stimme zitterte. „Okay“ murmelte David und legte auf.
Am selben Abend kam David vorbei. Er sei in der Nähe gewesen und er habe ständig an mich denken müssen. Mehr als ihn wegschicken könne ich ja schließlich auch nicht.
„Komm rein. Setz dich bitte, wir wollten gerade essen!“ sagte ich freundlich. David war sichtlich überrascht und wirkte sehr erleichtert. Es ging ihm nicht gut. Nach dem Essen machten wir es uns im Wohnzimmer gemütlich. Wir tranken Glühwein und hörten ‚Lucio Dalla’. Draußen schneite es. Meine Nymphensittiche Daisy und Haase saßen am Fenster auf ihrem Spielplatz und verfolgten die dicken Schneeflocken, die vom Himmel in tanzenden Bewegungen herabfielen. Den Grad ihrer Wachsamkeit konnte man an ihrem Kamm erkennen, ein Federschmuck auf ihren Köpfen, der bei völliger Entspannung sich flach nach hinten legte. Nun flog ‚Daisy’ auf Davids Schulter und spielte mit dem Reißverschluss an seinem Sweatshirt-Kragen. ‚Haase’ setzte sich auf seine Brust und bearbeitete seine Halskette.
„Ich hoffe, sie hinterlassen keinen Klecks.“
„Kein Problem ich habe morgen frei. Ist ja schließlich nicht mein bester Anzug.“ Endlich lachten wir wieder. Die letzten Minuten waren so bedrückend gewesen. David hielt einen auffallend großen Abstand zu mir. Mein Verhalten vom Vortag hatte ihm den Rest gegeben. Er hatte Angst, ich könnte ihn plötzlich nach Hause schicken oder den Kontakt zu ihm ganz abbrechen. Außerdem wollte er den Zauber dieser Minuten nicht durch eine arglose Handlung zerstören.
„Hättest du Lust morgen mit mir ins Kino zu gehen?“ fragte ich ihn, als er aufstand und seinen Mantel holte. „Wir könnten vor dem Kino eine Kleinigkeit essen.“
Er nickte knapp und sagte: „Okay.“ Seine Stimme klang rauh und wie von weit her. „Du tust mir weh“, sagte sein Blick. Ich fühlte das bekannte Würgegefühl in der Kehle, das eine Folge von zu kräftigem Schlucken war. Ich umarmte ihn zum Abschied und verharrte in dieser Stellung. David stand wie versteinert da. Enttäuscht ließ ich von ihm ab.
„Also dann bis Morgen“, sagte David und schloss die Türe hinter sich zu. Ich hörte ihn noch die Stufen hinunter laufen. Dann nahm ich all meinen Mut zusammen und rannte ihm hinterher. Er stand gerade vor den Kofferraum seines Autos und warf seinen Rucksack hinein, als ich ihm weinend in die Arme fiel.
„Ich liebe dich“, sagte ich und drückte meinen Kopf an seine Brust. „Ich liebe dich“, wiederholte ich. Ich zitterte. „Schscht...“, sagte er leise und wischte mir die Tränen weg. Die Konturen der Wirklichkeit verwischten sich. Wie auf einem anderen Planeten hörte ich das Rauschen vorbeifahrender Autos. David presste mich fester an sich und öffnete mit seinem Mund meine Lippen. Meine Hand glitt zum ersten Mal unter seinen Pullover, in seine duftende Wärme, meine Finger drangen in jenen rührenden Hohlraum, den der Gürtel bei manchen Männern zwischen den Lendenmuskeln freigibt. Lautlos begann es zu schneien, wir bemerkten es nicht.
Als David die Stufen zu seiner Wohnung hinauf stieg fühlte er sich befreit. Er spürte, dass er nicht mehr um mich kämpfen musste. Später als er im Bett lag, fühlte er sich jedoch seltsam leer. Das anfängliche Glücksgefühl wurde nun durch einen dumpfen Schmerz in der Herzgegend abgelöst. Er dachte zum ersten Mal wieder an Martina. So sehr er sich auch bemühte nicht an sie zu denken, immer und immer wieder sah er die Bilder von ihr in sich aufsteigen. Martina neben sich im Bett liegend, Martina in der Badewanne. Martina, als sie ihm gestand, dass sie ihn nicht mehr liebe. Plötzlich überkam ihn ein Gefühl der Panik. Er musste jemanden sprechen. Er musste sich beruhigen. Sein Blick fiel auf die leere Weinflasche, die auf seinem Schreibtisch stand. Aber David gehörte nicht zu den Männern, die ihren Frust mit Alkohol betäubten. Seine Großmutter fiel ihm ein. Was hatte sie damals gesagt, als er ein kleiner Junge war „Nimm diesen Teddybären, mein Junge. Wann immer du traurig bist, er wird dir helfen.“ Seit Jahrzehnten hatte er den Teddybären nicht mehr aus der Schublade genommen. Wie sah das denn aus? Ein erwachsener Mann mit einem Teddy im Bett. Schließlich war er ja nicht Mr. Bean. Genau in diesem Moment verschwand seine Angst-Attacke. Er hatte innerlich gelächelt. „Der größte Feind der Angst ist Humor“, hatte ihm seine Großmutter gelehrt. „Vergiss das nicht! Verlerne nie über dich Selbst zu lachen, ja?“ „Ja“ hatte er geantwortet, siebenjährig ohne zu wissen, was sie meinte. David stand auf, holte den Teddybären aus der Schublade heraus und drückte ihn an sein Herz. Nach wenigen Minuten schlief er erschöpft ein.
Am nächsten Tag gingen David und ich wie verabredet ins Kino, danach essen und schließlich landeten wir im Bett. In den Wochen danach bemerkte ich nichts von Davids Ambivalenz. Er rief mich täglich mehrmals an, wiederholte immer und immer wieder, dass er mich liebe. Er war sehr zärtlich und aufmerksam und seine Libido ließ vermuten, dass er mich wirklich begehrte – trotz alledem schlich sich nach und nach eine gewisse Distanz zwischen uns ein.
Dann kam die Zeit als David immer häufiger Verabredungen absagte und bei unseren Treffen zunehmend zerstreuter wirkte. Einige Male hörte ich ihn im Schlaf Martinas Namen rufen. Klar, dafür konnte er nichts. Ich war ihm ja auch nicht böse. Ich war nur traurig. Zumal sich diese Dinge sehr subtil äußerten. Vielleicht war ich ja doch nur eine Übergangsbeziehung um von Martina loszukommen. Aber ihn darauf ansprechen wollte ich nicht. Noch nicht. Mit einem Gefühl zwischen Angst und Hoffnung verfiel ich zunehmend in eine regressive Haltung - ich fing wieder an zu taktieren und entzog mich seiner Nähe. Langsam aber sicher begann ich mich mehr und mehr in mein Schneckenhaus zurück zu ziehen. Gerade als ich es mir dort gemütlich gemacht hatte, kam David mit einem besonderen Geschenk. In der Nacht vor seiner Abreise nach Berlin schenkte er mir ein „Überraschungs-Ei“. Ich musste lachen. „Hm, wie nett. Spiel, Spaß und etwas zum Naschen“, rief ich verzückt und biss ihm sanft in seine nackte Schulter. Dann schliefen wir miteinander.
Am nächsten Morgen kochte ich mir Kaffee und ging mit meiner Tasse zurück ins Bett. Mein Blick fiel auf das Überraschungs-Ei. Gedankenverloren packte ich es aus. Oh mein Gott! David hatte das Schoko-Ei vorsichtig in zwei Hälften getrennt und seinen Wohnungsschlüssel hinein gesteckt. Dann hatte er das „Ü-Ei“ wieder zusammen gebastelt und in das Papier gewickelt. Als ich den Schlüssel in meiner Hand hielt, stieg eine riesige Woge an Zuversicht und Glauben an unsere Liebe in mir hoch. Eine Ewigkeit hielt ich den Schlüssel in meiner Hand und weinte vor Glück. Nein, diese Liebe würde halten!
Ich habe großen Hunger… Das Popcorn, das ich im Kino mit Beate gegessen hatte, war längst verdaut. Ein kleiner Begrüßungs-Snack für David und mich wäre jetzt nicht verkehrt. Mikail schlief bereits. Als ich in die Küche gehe, fällt mein Blick zuerst auf die riesige Bahnhofsuhr, die mir Beate letztes Jahr geschenkt hatte. Ah, sehr gut, ich hatte noch etwas Zeit. In einer halben Stunde würde David da sein. In diesem Moment klingelt das Telefon. David ist dran.
„Hallo Kleines...“, beginnt er.
„Wo bist du?“
„Hör zu, ich muss mit dir reden.“ Da war er, dieser Stich im Herzen, diese Angst, die es unmöglich machte, einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Ich hasste diesen Satz. Er bedeutete nichts Gutes. So fing man doch immer an, wenn man…
„Ich habe nachgedacht. Ich liebe dich Hülya, aber ich bin über Martina noch nicht hinweg. Das ist genau das, was du immer prophezeit hattest. Du weißt schon, diese Sache mit ‚Zeit lassen’ zwischen zwei Beziehungen…“
„Was redest du da?“ Ich kämpfe mit den Tränen.
„Du hattest Recht. Ich kann von dir nicht erwarten, dass du auf mich wartest, aber tief in mir spüre ich, dass wir zusammen gehören. Wir haben uns nur zu einem falschen Zeitpunkt getroffen. Bitte verzeih mir, aber wir können uns vorerst nicht mehr sehen.“
Stille.
„Aber warum hast du mir dann vor deiner Abreise deinen Wohnungsschlüssel geschenkt?“
„Ich habe ihn dir geschenkt, weil ich mir mit dir sicher war. Ich weiß, das klingt jetzt so richtig arschlochmäßig aber während einer Sitzung in Berlin begann ich fürchterlich an zu schwitzen. Ich hatte Todesängste. Ich glaubte zu ersticken. Da wusste ich es. Ich musste eine Weile alleine sein. Hülya, ich erwarte nicht, dass du mich verstehst, aber glaub mir, ich weiß, dass wir zu einander gehören. Bitte vertrau mir!“
Ich will so vieles sagen, dass ich ihn verstehen kann und dass ich auf ihn warten werde. Auch ich spürte tief in mir, dass wir zusammen gehörten. Ein ganz kleiner Teil in mir ist angstfrei - was war schon dabei, wenn er einige Zeit allein sein wollte - aber der andere Teil - zutiefst gekränkt und unsicher, wies ihn zurück. Laut sage ich: „Das mit uns war ein Fehler!“ Mit zitternden Händen umklammere ich den Hörer und presse ihn fest an mein Ohr. Ich kann David atmen hören.
„Hülya“, flüstert er nach einer Ewigkeit. Seine Stimme klingt blechern: „Bitte gib mir Zeit.“ Plötzlich habe ich fürchterliche Kopfschmerzen.
„Lassen wir es einfach“, sage ich. Ich widerstehe dem Impuls das Telefon an die Wand zu pfeffern und laut los zu schreien. Ich kann nicht einmal weinen. Ich habe nicht die Kraft dazu. So wie ich eigentlich keine Kraft dazu hatte, mich zu einer Beziehung hinreißen zu lassen, die eigentlich von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. David bat mich um Zeit. Was wenn er nach einiger Zeit feststellen würde, dass er doch nicht zu mir zurück wollte?
Mein Herz meldet sich: „Gib diesen Mann nicht auf!“ Meine Vernunft setzt sich jedoch durch. Auf sie konnte ich mich verlassen. Die Vernunft bot mir Ordnung, Kontrolle und Sicherheit.
In meinem geistigen Auge sehe ich mein Leben vor mir, das vertraute Leben einer Single-Frau. Was will ich eigentlich? In Wirklichkeit ist das Leben an der Seite eines Mannes doch irrsinnig anstrengend: Nichts ist so labil, wie die Liebe. Selbst Menschen, die von ihrer Ehe behaupten, sie sei auf Granit gebaut, wissen im Geheimen, dass sie sich selbst belügen. Ich jedenfalls habe genug von diesem ewigen „Thrill“ - ich brauche ihn nicht mehr. Also entscheide ich mich auszusteigen - das „Liebes-Karussell“ konnte sich auch ohne mich weiter drehen. Gut so! Nun nimmt ein Gefühl von Überlegenheit und Hochmut von mir Besitz. Mit fester Stimme sage ich - beinahe feierlich „Ist schon okay David. Wir beide wissen doch, dass es für uns kein Zurück mehr geben wird. Ich habe noch nie an so etwas wie Bestimmung geglaubt. Aber wenn du eines Tages einen Freund brauchst, ruf an.“ David antwortet nicht. Er legt auf.
Später liege ich im Bett und starre die Decke an. Tränen los und vollkommen beherrscht. Früher hätte ich mich in so einer Situation in den Schlaf geweint. Ich sehne mich nach der alten Hülya, die sich einfach in das Leben stürzte. Jetzt nach zahlreichen Narben und Schrammen in meinem Herzen war ich nur noch darauf aus, es vor weiteren Verletzungen zu schützen. Abstinenz als Mittel zur „Liebes-Entwöhnung“. Offensichtlich war ich nicht in der Lage die Auseinandersetzung mit dem Du als die natürlichste Sache von der Welt zu sehen. Ich sah die Liebe als Schlachtfeld, wo es nur Gewinner und Verlierer gab? War dies der heimliche Grund meiner Unfähigkeit zu…?
„Ach was“, meldet sich eine altbekannte Stimme aus meinem Inneren. „Der Idiot hat dich angemacht und dann eiskalt abserviert. Immerhin bist du vor ihm nicht zusammengebrochen wie ein Schulmädchen. DU hattest das letzte Wort in dieser Schluss-Szene. Du kannst stolz auf dich sein!“
Thomas Mann soll einmal gesagt haben „Wer mehr liebt ist verloren“. Dieser Satz gefiel mir einmal - aber jetzt finde ich ihn blöd. Wenn, dann müsste er heißen: „Wer weniger liebt ist verloren.“
Plötzlich überkommt mich das Gefühl von Panik und die Gewissheit einen großen Fehler begangen zu haben. Aber was hinderte mich daran ihn anzurufen - ihm zu sagen, dass auch ich im Innersten an diese Liebe glaubte? Warum ziehe ich es vor, die Rolle der Verlassenen zu spielen? Die Antwort ist ebenso banal wie einfach: In meinem Liebes-Leben war meist ich diejenige, die verlassen wurde. Diese Rolle kannte ich. Sie war mir vertraut. Warum also was neues wagen? Plötzlich werde ich aus meinen Gedanken gerissen, das Telefon klingelt. Ich gehe nicht ran. Dann klingelt mein Handy. Es ist David - ich sehe es im Display. „Sevgilim“ steht da. Dann gibt David auf. Es ist spät - ich beschließe zu schlafen und schalte das Licht aus.
Irgendwann wache ich auf… Wenige Sekunden lang ist die Welt in Ordnung, bis mir einfällt, was geschehen war. Dann endlich weine ich. Geliebte, heilsame Tränen. Ich schluchze wie ein kleines Kind. Mein Körper krümmt sich vor Schmerz, wie der eines Junkies, der einen „Turkey“ hat. Ein gebührender Vergleich - wenn man bedenkt, dass der plötzliche Entzug der Liebe (noch vor wenigen Momenten Quell von Harmonie und Geborgenheit) einem schmerzhaften Drogenentzug gleich kam. Irgendwann falle ich erschöpft in einen traumlosen Schlaf.
Die nächsten Tage und Wochen verlaufen relativ ruhig. Mein Trennungsschmerz hält sich in Grenzen und meine Energie widme ich meinem Sohn und meiner Arbeit. Selbstverständlich denke ich oft an David - schließlich ruft er immer wieder an. Aber, da seine Bemühungen mich zu sprechen, erfolglos bleiben, verstummt auch irgendwann das Telefon. Mit der Zeit verblasst die Erinnerung an ihn: Erst vergesse ich den Ausdruck in seinem Gesicht, dann, wie es sich anfühlte, wenn er mich küsste und zuletzt weiß ich nicht mehr genau, warum ich gerade diesen Mann so geliebt hatte? Was hatte ihn eigentlich so einzigartig gemacht? Ich wusste es nicht mehr. Das war der Zeitpunkt an dem David für mich gewöhnlich wurde.
Selbstverständlich gab es Momente, wo die Gefühle für ihn noch einmal kurz aufblitzten, sich aufbäumten, als wollten sie sich den Platz von Exklusivität in meinem Alltag wieder erobern. Dies geschah meist in meinem Auto, in meiner heiß geliebten Höhle, wenn irgendein Song aus dem Radio ungehindert und unzensiert durch meine Ratio schnurstracks in mein Herz dringen konnte - dann weinte ich. Hemmungslos und ungestört. Aber auch das ging vorbei und irgendwann blieben meine Augen Tränen los und mein Gemüt heiter.
ICH WAR WIEDER IM KÖNIGREICH DER SINGLES!
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